Wer Uli Hoeneß in der Nacht des 19. Mai 2012 aus nächster Nähe erlebte, der machte sich ernsthafte Sorgen um das Wohlbefinden des Präsidenten des FC Bayern München. Da stand die ehemalige Abteilung Attacke am Eingang des Festsaales im Münchner Postpalastes und zog mit leise Stimme ein schonungsloses Saisonfazit. Kurz zuvor hatten Bastian Schweinsteiger und Co. das Champions-League-Finale "dahoam" gegen den FC Chelsea nach Elfmeterschießen in den Sand gesetzt. Es war der dritte Vize-Titel und Schlusspunkt einer gleichermaßen dramatischen wie erfolglosen Saison.

Hoeneß stützte sich mit einer Hand auf einem kleinen Podest ab. Hier am Eingang des aufwendig dekorierten Postpalastes sollte eigentlich der Henkelpokal stehen. Es wäre die Krönung auf den letzten Drücker einer Saison gewesen, die einer zünftigen Achterbahnfahrt glich und am Ende tief unten im Keller endete. Doch die Trophäe für die beste Mannschaft Europas befand sich zu dieser Zeit längst auf dem Weg nach London.
Vor Hoeneß hatten sich eine Hand voll Pressevertreter der wichtigsten Sportmedien Deutschlands versammelt. Sichtlich mitgenommen, mit ungewohnt leiser Stimme, referierte der Klub-Präsident über den Status quo des FC Bayern im Mai 2012. "Auf die Dauer habe ich keine Lust, immer nur Platz zwei zu belegen. Das ist kein Zustand, den ich akzeptieren kann. Wir haben immer über Leverkusen gelächelt (2002 ebenfalls dreimal Vize; d. Red.). Jetzt sind wir in einer ähnlichen Situation."

Das Fazit wäre gänzlich anders ausgefallen, hätten Mario Gomez und Kollegen zuvor eine der gut 20 Tormöglichkeiten genutzt, um einen weiteren Treffer zu erzielen. So aber verlor man das CL-Finale in der heimischen Allianz Arena gegen eine um Längen schlechtere Mannschaft des FC Chelsea mit 3:4 i.E. Der historische Erfolg, als erste Mannschaft in der eigenen Stadt das Endspiel zu gewinnen, zerplatzte wie eine Seifenblase.
Zuvor spielte man eine nahezu makellose Saison in der Königsklasse. Gegen den FC Zürich (2:0, 1:0) qualifizierte man sich locker und leicht für die Gruppenphase. Diese schloss der FCB als Gruppensieger ab - trotz starker Gegner wie Manchester City, SSC Neapel und FC Villareal. Im Achtelfinal-Rückspiel erteilte man dem FC Basel, der es gewagt hatte das Hinspiel mit 1:0 zu gewinnen, eine 7:0-Lehrstunde.

Über zwei souveräne 2:0-Siege gegen Olympique Marseille erreichten die Münchner das Halbfinale gegen Real Madrid. In der spanischen Hauptstadt verwandelte Bastian Schweinsteiger im Elfmeterschießen den entscheidenden Strafstoß und machte so den Finaleinzug perfekt. Dort indes war der emotionale Leader gegen Chelsea der tragische Held, als er den letzten Penalty an den Pfosten setzte.
Damit war die Schmach perfekt. Ein Erfolg in der Königsklasse hätte die bittere 2:5-Niederlage gegen Borussia Dortmund im DFB-Pokalfinale weggewischt. Ebenso das Scheitern in der Bundesliga. Hier verspielte der FCB gegenüber dem wiedererstarken Rivalen aus Dortmund einen Acht-Punkte-Vorsprung und landete am Ende mit acht Punkten Rückstand (!) auf Rang zwei. Die Vize-Saison war perfekt.

Im Sommer leckte der FC Bayern seine Wunden und zog die Konsequenzen. Sportdirektor Christian Nerlinger musste gehen. Für ihn kam Matthias Sammer, der als Sport-Vorstand sofort einen Posten in der Führungsetage erhielt. Er erweckte den Rekordmeister mit seiner Siegermentalität aus der Vize-Depression.
Dazu genehmigte sich der FC Bayern mit Xherdan Shaqiri, Tom Starke, Mitchell Weiser, Dante, Claudio Pizarro und Mario Mandzukic eine ordentliche personelle Blutauffrischung. Der Königstransfer jedoch zog sich ein wenig hin. Ende August, kurz vor Transferschluss, unterschrieb dann der spanische Nationalspieler Javi Martinez einen Vertrag bis 2017. 40 Millionen Euro blätterte der FCB für die Dienste des 24-Jährigen hin. Damit ist er der teuerste Einkauf der Klubgeschichte.

Mit ihm, aber vor allem mit jeder Menge Wut im Bauch aufgrund der verkorksten Vize-Saison, legten die Münchner eine eindrucksvolle erste Hälfte der Saison 2012/2013 hin. Startrekord mit acht Siegen in den ersten acht Spielen. Das erreichte in 49 Jahren Bundesliga-Geschichte noch kein Klub, gleiches gilt für die ersten fünf Auswärtsspiele ohne Gegentor. Und bereits nach dem 14. Spieltag stand auch noch kein Verein als Herbstmeister fest. Nach 17 Spielen beträgt der Vorsprung des Tabellenführers auf den Zweiten Bayer Leverkusen bereits neun Punkte. Zwölf Punkte sind es gar auf den großen Rivalen aus Dortmund.
Auch in den beiden anderen Wettbewerben hielt sich der FC Bayern schadlos. Im DFB-Pokal setzte man sich beim Jahn Regensburg und gegen den 1. FC Kaiserslautern jeweils mit 4:0 sowie beim FC Augsburg mit 2:0 durch. Einzig die Rote Karte für Franck Ribéry trübt ein wenig die Freude. Der Franzose wurde für zwei Spiele gesperrt und wird im Viertelfinale gegen Dortmund fehlen.

In der Champions League gaben sich Manuel Neuer und Co. ebenfalls keine Blöße. Gegen BATE Baryssau, FC Valencia und OSC Lille sicherte man sich souverän den Gruppensieg. Im Achtelfinale wartet nun der Lukas Podolski und der FC Arsenal. Können die Spieler von Jupp Heynckes an ihre Leistungen aus der Hinserie anknüpfen, wartet auf die Bayern-Fans noch ein tolles Jahr 2013.
Quelle:t-online.de